Für die einen ein paar faulige Holzplanken von bisher nicht exakt bestimmbarem Alter. Für die anderen ein nationales Heiligtum. So unterschiedlich ist der Blick auf einen Wrackrest – man kann nicht einmal mehr von einem Wrack sprechen – vor der Küste der USA. Er liegt in etwa sechs Meter Schnorcheltiefe am Eingang der Bucht von Newport (Rhode Island). Und könnte die „Endeavour“ sein. James Cook, der berühmte britische Entdecker und Weltumsegler, unternahm darauf 1768 seine erste Expedition. Doch ist sie das wirklich? Oder nur irgendein Wrack?
Über die schäbigen Überbleibsel eines uralten Segelschiffs ist nun ein bizarrer Streit entbrannt. Nicht zwischen Kindern im Sandkasten, sondern zwischen ehrwürdigen wissenschaftlichen Institutionen, die noch dazu seit 22 Jahren zusammenarbeiten. Es geht um das amerikanische Rhode Island Archaeology Project auf der einen und das Australian National Maritime Museum auf der anderen Seite.
Gemeinsam haben sie den Seegrund systematisch betaucht und die Artefakte untersucht, die dort herumlagen. Erst waren es vier Wracks, dann sechs. Bald wird man wohl noch mehr entdecken: Bei den Überresten handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um eine Flotte von dreizehn Transportschiffen, die 1778 während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges dort versenkt wurden. Es war eine Verteidigungsmaßnahme: Die Briten befürchteten damals einen Angriff von See und sperrten mit den Wracks die Hafeneinfahrt.

Seit der Entdeckung der Schiffe im Jahr 2005 wurde bereits viel daran geforscht. Heraus kam: wenig. Das überrascht nicht, denn die Holzrümpfe der 250 Jahre alten Schiffe sind nahezu komplett verrottet. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich schließlich auf eine Fundstelle, die teilweise unter einem jüngeren Wrack aus dem 19. Jahrhundert lag. Das ältere Schiff hatte, so rekonstruierten die Wissenschaftler, in etwa die gleiche Größe und Struktur wie die Endeavour.
Fragment einer britischen Teekanne
Es wurden auch Artefakte geborgen, zum Beispiel eine historische Kanone, ein Anker und das Fragment einer britischen Teekanne. Doch die endgültige Zuordnung zum ehemaligen Flaggschiff von James Cook gelang nicht. Umso überraschender, dass Kevin Sumption, Direktor des australischen Museums, vor wenigen Tagen entschied: Der Beweis ist erbracht! Sein Triumph führte postwendend zu einer Ohrfeige aus Amerika: Es gehe hier um einen „korrekten wissenschaftlichen Prozess“, nicht aber um „australische Gefühle oder Politik“.
Für viele Australier ist das Thema eine Herzensangelegenheit: Die Endeavour symbolisiert den Beginn ihrer Nationalgeschichte. Cook segelte mit dem ehemaligen Kohlentransportschiff, das der erfahrene Seemann wegen seiner Robustheit ausgesucht hatte, erstmals in die Südsee. Ziel dieser ersten reinen Forschungs-Seereise der Weltgeschichte war Tahiti, um dort astronomische Beobachtungen anzustellen.
Fast nebenbei entdeckte der Expeditionsleiter Cook Australien für die Europäer. Und kartographierte die Küste. Drei Jahre später war der Dreimaster zurück in England. Und wie verschlug es ihn an die amerikanische Ostküste?